Sonntag, 10. Februar 2008

Vom Höhenangsthasen zum Bungy-Jumper

Wer hätte das geglaubt: es ist keine 1 ½ Jahre her, da musste man mich, die ich krampfhaft die Augen zuhielt, aus dem Aufzug zur Aussichtsplattform der Henrichshütte in Hattingen führen, weil ich die ersten zwei Meter über ein Gitter zu gehen hatte, durch das man in die Tiefe sehen konnte. Und dabei waren wir noch nicht mal in 50 Metern Höhe. Mein Entschluss stand fest: Ich will mich von meiner blöden Höhenangst nicht unterkriegen lassen und deswegen auf manche tolle Aussicht verzichten müssen! War das der Grund? Eine professionelle Therapie gegen Höhenangst hab ich jedenfalls nicht gemacht. Sie verschwand. Fensterputzen im zweiten Stock – no problem. Aber wie konnte ich testen, ob ich wirklich kein Höhenangsthase mehr war? Die Lösung: Eine Reise nach Südafrika ;-).

Vor der Reise die Frage: wer hat Lust einen Bungee-Sprung zu machen? Zur Auswahl stehen zwei Brücken, die eine, 83 m hoch in Gouritz und die andere, 216 m hoch in Bloukrans. Ich gehe auf die Internetseite und betrachte die Bilder. Ui, sieht ja doch ganz schön hoch aus. Mh, vielleicht die Kleine? Ich überlege. Meine Arbeitskollegen halten mich für bescheuert. Der Motivationskick. Ich mach’s. Mein fester Plan, ich springe von der kleinen Brücke. Bestimmt. Auf jeden Fall! Die letzten Nächte vor der Reise träume ich vom Abgrund. Oh je, ob ich doch wohl kneifen werde? Nein, ich werde das tun – oder doch nicht? Meine Zweifel behalte ich für mich. Allen anderen sage ich, ich mach’s. Ich will’s ja auch.

Nach zwölf Stunden Nachtflug nach Kapstadt und 300 weiteren Kilometern Richtung Mossel Bay sind wir an der kleinen Brücke angekommen. Aber jetzt springen? Übermüdet? Das kann doch niemand. Wir gucken uns die Brücke näher an, dürfen in die Mitte gehen. Ich stell mich an den Rand, gucke runter. Ein fettes Grinsen breitet sich innerlich aus: ich habe keine Angst! Jetzt weiß ich’s sicher: hier springe ich auf jeden Fall runter J. Wir beschließen, am nächsten Tag noch mal zurück zu fahren und zu springen. Yeah, ich werde springen.

Abends sprechen wir noch mal die Route für den nächsten Tag durch. Irgendwie passt der Sprung nicht so ganz in den Plan. Was tun? Nee, oder? Ich glaub’s nicht. Die Alternative ist, ein paar Tage später von der großen Brücke zu springen. Die große Brücke??? Das sind 216 m! Bei der Kleinen war ich mir sicher, aber die Große? Mir fallen meine Abgrundträume wieder ein. Okay, ich kann ja immer noch sagen, bei der Kleinen war ich mir sicher, dass das jetzt nicht klappt, da kann ich ja auch nix für ;-). Ich entspann mich. Ich werde mir die Große ansehen und dann spontan entscheiden.

Es ist halb Neun am Morgen. Mein großer Tag ist da. Wir lenken die Autos auf den Parkplatz. Vor uns die Schlucht – und die Brücke. Drüber gefahren sind wir bereits, aber erst jetzt sehen wir das ganze Ausmaß und die Dimensionen. Der erste Adrenalinausstoß ist bereits da. Wow, was für ein Panorama. Genial – aber hooooooch. Ausatmen, ruhig Braune. Guck mal am Rand der Aussichtsplattform gegenüber der Brücke runter. Ui, hoch aber genial. Ähm, ja, ich glaub ich mach’s. Ja, yes, ja, ich werde es tun. Ich springe! Tief durchatmen. Ich springe - der Entschluss steht fest.

Zwei aus unserer Gruppe werden springen, Frank und ich. Wir dürfen Bungy-Buddies mitnehmen. Frank nimmt Ralf und David mit, ich Cora und Sandra – auch liebevoll Bungy-Bunnies genannt ;-).

Ursprünglich wollte Sandra ein paar coole Absprungfotos von mir schießen, da sie aber ihre Kamera nicht mitnehmen durfte, habe ich noch viel mehr Respekt vor der Entscheidung mich zu begleiten. Sandra ist nämlich auch Mitglied im Club der Höhenangsthasen.

Cora und David überwinden die Distanz vom Rand bis in die Mitte der Brücke mit dem Flying Fox. Wir anderen gehen gemeinsam mit vier weiteren Todesmutigen durch den Tunnel. Sandra wird mit jedem Schritt entspannter – wie auch? Sie hat ja keine andere Wahl. Ich feuere sie von hinten an. Wie es mir inzwischen geht? Ich genieße jeden Schritt. 216 m liegen zwischen mir und dem felsigen Abgrund. Von Angst keine Spur. Im Gegenteil, ich bin stolz und glücklich! Ständig bleibe ich für einen kleinen Augenblick stehen um fasziniert nach unten zu gucken. Es ist so toll hier zu stehen!

In der Mitte angekommen wird uns die Sprungreihenfolge angekündigt: Frank muss, darf, kann – wie auch immer – als Erster runter. Bevor mein großer Moment kommt, springen noch zwei andere Springer. Meine „letzten Worte“ zu Frank sind, dass ich es auf keinen Fall wissen will, wenn’s nicht gut war. Ich fass es nicht, bald ist es soweit! Ich hab so’n Sprunggeschirr an und werde tatsächlich springen. Frank wird für seinen Sprung vorbereitet. Cora und David „fliegen“ uns gleich entgegen. Musik schallt durch die Boxen. Ich bekomm eine Decke umgehängt. Ich tanze. Ich umarme Sandra, weil ich so stolz auf sie bin. Ich bin einfach nur hibbelig und aufgedreht. Jetzt wird Frank auf die Absprungrampe begleitet. Die Guides haben uns vorher erklärt, dass wir uns zwar noch kurz vorher dagegen entscheiden können, aber wenn wir erst einmal da vorne stehen, dann werden wir notfalls geschubst. Ja, geschubst, das glaub ich muss ich werden. Und jetzt steht Frank da. Er kann nicht mehr zurück. Er muss die Arme ausbreiten. Die Guides, die ihn halten zählen: four, three, two, one – und geben im den Schubs. Er ist weg. Dort wo er eben noch stand: Leere und die Guides, die noch mal schnell Seil nachgeben. Weg. Und jetzt? Wann kommt er wieder? Kommt er wieder? Ich entdecke eine Leinwand, auf der Sprung verfolgt werden kann. Er pendelt mittlerweile schon aus. Er hängt noch am Seil. Der Guide, der ihn wieder hoch holen wird ist bereits auf dem Weg nach unten. Er kommt wieder hoch und er lacht. Zwar etwas konfus, aber er lacht und er sagt es war gut. Die nächsten zwei Sprünge erlebe ich in einer Art Trance. Ich realisier zwar alles, aber irgendwie auch doch nicht. Ich rede mit den anderen, aber nur so halb.

Ich bekomme zwei dicke Schaumstoff-Fesseln um die Fußgelenke und dann wird das Halterungsseil darum gelegt. Ich sage dem Guide, er soll noch mal prüfen, ob alles fest ist und noch mal extra daran ziehen. Er hängt was an meinem Sicherungsgeschirr ein. Es werden Fotos gemacht. Ich bin Jumper No. 9. Man hilft mir in die Schleuse. Mein Atem geht schnell. Das Bungy-Seil wird eingehängt. Ich seh es, aber realisier es nicht. Ich will darauf achten, ob es wirklich richtig eingehängt ist. Man führt mich vorne an die Rampe. Ich soll in die Kamera lächeln und meine Arme ausbreiten. Auf einmal bin ich voll konzentriert. Ich will mich nicht schubsen lassen. Ich will selber springen. Der Blick ins Tal. Höhenangst? Nein. Aber ein Kribbeln im Bauch, das fast nicht auszuhalten ist. Four, Blick ins Tal, three, ich spring selber, two, kein zurück, one, ich springe - oder werde ich geschubst? Ich weiß es nicht. Ich fliege!

Adrenalin wird von mir nur so herausgeschrieen. Ich genieße es, ich schreie, nein keine Angst, aber ich muss schreien. Grün wirbelt um mich herum, ich seh die Schlucht, ich seh das Meer, ich seh Bäume. Ich fliege. Ich seh was, ich erkenne nichts. Ich merke wie das Seil langsam greift. Ganz langsam bremst es meinen Flug. Waren das wirklich 120 km/h wie angekündigt? Ich spüre, wie es meine Flugbahn wieder nach oben lenkt. Es hat einen Ruck am Fußgelenk gegeben. Verliere ich meine Fußfessel? Zum ersten Mal realisiere ich, wie weit es noch nach unten ist. Noch mal ein Stückchen Fliegen? Ja, aber nicht ohne Seil. Meine Flugbahn geht wieder nach unten. Wieder der leichte Ruck an der Fußfessel und hoch geht’s. Ich versuche meine Füße anzuziehen, damit sie auf keinen Fall aus der Fessel rutschen. Irgendwann häng ich ausgependelt am Seil. Oh nein, ich könnte aus dem Seil rutschen. Ich spanne die Füße an und warte. Ich gucke umher – aber kann ich auch wirklich was sehen? Ich sehe das Meer, ich sehe links und rechts die Abhänge. Ich spanne weiter meine Füße an. Nur nicht das Seil verlieren. Banges warten auf meinen Rettungsguide. Er kommt. Ich höre, wie er ins Funkt. Ich gucke nach oben, sehe, dass er auf einer Art Schaukel sitzt. Ich greife nach ihr um mich hoch zu ziehen, muss aber los lassen. Noch ein paar Sekunden muss ich so entspannt unentspannt mit dem Kopf nach unten hängen bleiben. Dann höre ich das Klicken eines Karabiners, spüre, wie mein Körpergewicht vom Sicherungsgeschirr aufgenommen wird und werde in eine halb sitzende Position gezogen. Jetzt darf ich auch die Schaukel anfassen. Ich halte sie fest – sicher ist sicher ;-). Auf dem Weg nach oben blicke ich noch mal ins Tal und aus dem Tal heraus aufs Meer. Von Höhenangst keine Spur. Ich genieße die Aussicht in meinem bequemen Hängesitz. It was great. Das ist alles, was ich sagen kann. It was great!

Oben warten die anderen auf mich. Sie jubeln, so wie wir es bei jedem Springer getan haben. Aber jetzt ist es für mich. Für mich ganz allein, denn ich bin gesprungen. Ich hab es wirklich getan.

Adrenalin macht sich breit. Ich grinse! Wären meine Ohren nicht im Weg, dann würde ich im Kreis grinsen. Dass Frank sogar noch ein zweites Mal springt, bekomm ich in meinem Hormonüberschuss kaum noch mit. Ich umarme alle. Ich bin gesprungen. And it was great.

Wir gehen zurück. Sandra bekommt einen ähnlichen Adrenalinkick wie ich. Drüben wartet der Rest der Gruppe. Sie jubeln uns zu. Wir haben es getan.

It was great – oder wie steht es auf meinem T-Shirt, dass ich mir zur Belohnung im Gift-Shop gegönnt hab? Fear is temporary – regret is forever. Es hat sich gelohnt – ich würd’s noch mal machen.

Eure Kerstin

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Respekt, Respekt! Alleine das Anschauen der Bilder verursacht ein flaues Gefühl in der Magengegend!

Wir wünschen euch weiterhin viel Spaß, fantastisches Wetter, eindrucksvolle Landschaften und viele, gute Eindrücke! Bleibt gesund und fit und kommt glücklich wieder nach Hause.

Anonym hat gesagt…

Hallo Sandra,
es ist super interessant und auch für daheim gebliebene sehr spannend eurer Reise zu folgen!
Viel Spaß noch und bleibt alle gesund!!!
Alles Liebe,
Sara und Christopher

Anonym hat gesagt…

Hallo Ihr, besonders Sandra!
Hab`gerade den aktuellen Bericht vom Sprung gelesen und bin echt begeistert von soooo viel Mut.
Aber auch von dir meiner kleinen, großen Schwesterbin ich beeindruckt! Kann gar nicht glauben, dass du mit oben warst :-)Drück`Dich!
Wünsch euch allen noch ganz viel Spaß, Sonne und unglaubliche Augenblicke!
LG Astrid

Anonym hat gesagt…

saugeil der Kerstinschatz!!

Anonym hat gesagt…

Kerstin, du bist eine alte Frau :-o Mach sowas nie wieder, ohne vorher mit deinem Kardiologen gesprochen zu haben... ;-)

Aber Respekt! :)

Anonym hat gesagt…

Hallo,liebes Deutschland-Team in Afrika!
Zum Valentinstag senden wir Euch tausend liebe Grüße aus der Provinz
"Massen".Verfolgen interssiert Euren Traum - Aktivurlaub.
Super Toll!!
Wir umarmen besonders unser Sonnenblümchen
Viele Grüße: Frauchen und Daddy!

Anonym hat gesagt…

Hey ihr! Boah! Und dann auch noch zwei mal gesprungen! Frank! Da haste dich ja echt was getraut!
Viele Grüße aus dem im Moment auch sonnigem Mützenich!
Wünsche euch noch weitere sonnige Tage in Afrika!

Anonym hat gesagt…

Hallo Cora,
ich soll Dir im Namen Deiner Kollegen wie gewünscht ausrichten, dass wir das Jahr ganz knapp im ersten Quartil beendet haben! Also ein Grund zur Freude.
Auch wenn ich bei diesen Bildern und Geschichten ganz sicher davon ausgehe, dass Du ganz andere Sachen im Kopf hast. Sind richtig prima Bilder und pointierte Texte. Muss zugeben, dass ich schon ein wenig neidisch bin. Meine herzlichsten Grüße zum Valentinstag! Schönen Resturlaub Euch allen zusammen, passt auf Euch auf.
Liebe Grüße,
Sascha